Was ist die Pille danach und warum überhaupt ein Werbeverbot?

Die Pille danach ist ein Notfallkontrazeptivum, also eine Möglichkeit zur Empfängnisverhütung nach einer Verhütungspanne. Es ist keine Abtreibungspille, denn sie verhindert eine ungeplante Schwangerschaft, bevor sie entsteht.

Um Frauen den schnellen Zugang zur Pille danach zu erleichtern, hob die Europäische Kommission im Jahr 2015 in der gesamten EU die Verschreibungspflicht auf. Seitdem gibt es sie rezeptfrei in der Apotheke. Ein Grund zur Freude, richtig? Absolut. Dies war ein wichtiger und richtiger Schritt, denn nach einer Verhütungspanne ist die schnelle Einnahme der Pille danach entscheidend, um eine ungeplante Schwangerschaft zu verhindern.

Wirkungsweise der Pille danach
Bei rechtzeitiger Einnahme kann die Pille danach den Eisprung um mindestens 5 Tage verschieben – dies entspricht der maximalen Dauer der Befruchtungsfähigkeit von Spermien im weiblichen Genitaltrakt. Durch die Eisprungverschiebung wird ein Zusammentreffen von befruchtungsfähiger Eizelle und Spermien verhindert. Der Eisprung findet somit erst statt, wenn die Spermien nicht mehr befruchtungsfähig sind. Eine Schwangerschaft kann so gar nicht erst entstehen.

Man kann allerdings nur von einem Teilerfolg für die reproduktiven Rechte von Frauen sprechen, denn die Kommunikation über die Pille danach bleibt bis heute stark eingeschränkt.

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§ 10 Heilmittelwerbegesetz – HWG

Absatz 1

Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.

Absatz 2

Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.

Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) gibt in Deutschland die rechtlichen Rahmenbedingungen für Arzneimittelwerbung vor. Unter anderem dient es dem Zweck, kranke Menschen durch irreführende Werbung vor unsachgemäßer Selbstmedikation zu schützen. Die Entlassung der Pille danach aus der Rezeptpflicht sollte 2015 den Zugang zu Notfallverhütung erleichtern und Frauen in Notsituationen helfen. Gleichzeitig wurde aber das Werbeverbot eingeführt. Damit nimmt Deutschland eine Sonderrolle im europäischen Vergleich ein.

Die Pille danach ist unter den freiverkäuflichen Arzneimitteln eine absolute Ausnahme. Im Gesetzestext wird sie in einem Atemzug mit Wirkstoffen genannt, die zu einer Abhängigkeit führen können und deswegen nicht beworben werden dürfen.

In diese Richtung steuert auch die Begründung des Werbeverbots. Denn diesem liegen Vorurteile zu Grunde, wonach Frauen Notfallverhütungsmittel „wie Smarties“ schlucken würden. Die Argumentation: Wenn Notfallverhütungsmittel beworben würden, erhöhe sich die Gefahr des Missbrauchs, zum Beispiel durch das Ersetzen von regulärer Verhütung durch Notfallkontrazeptiva. Ferner wurde angenommen, dass Frauen aus Sorglosigkeit auf Kondome verzichten könnten und es dadurch zu einem Anstieg sexuell übertragbarerer Erkrankungen kommen könnte. 1,2,3 Diese Befürchtungen zeugen nicht nur von einem anachronistischen Frauenbild, sondern haben sich zudem als falsch erwiesen. Das Werbeverbot besteht jedoch bis heute.

Der Zugang zu und die freie Entscheidung über die Nutzung von Empfängnisverhütungsmitteln ist von zentraler Bedeutung für die reproduktive Freiheit und sexuelle Gesundheit der Frau. Und dennoch ist das Werbeverbot ein weiteres Beispiel, wie Frauen noch immer bevormundet werden. Dabei kämpfen Frauen schon seit langer Zeit für die Selbstbestimmung über ihren Körper:

Hier gibt es eine (sehr) kurze Geschichte von diesem Kampf zum Nachlesen – ein Kampf, der noch lange nicht vorbei ist.

1

Deutscher Bundestag (Hrsg.). Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ‚Entwurf eines fünften Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze. Drucksache 18/3699 v. 25.02.2015. Auffindbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/18/041/1804114.pdf (zuletzt abgerufen am 09.03.2023).

2

Ärzteblatt (Hrsg.). Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen steigt. Artikel v. 03.09.2019. Auffindbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/105687/Zahl-der-sexuell-uebertragbaren-Infektionen-steigt (zuletzt abgerufen am 09.03.2023).

3

Robert-Koch-Institut (Hrsg.).Syphilis in Deutschland 2019 – Neuer Höchststand von Infektionen. Epidemiologisches Bulletin 49/2020. Auffindbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/49_20.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 09.03.2023).

Damit ist die „Pille danach“ unter den freiverkäuflichen Arzneimitteln eine absolute Ausnahme. Im Gesetzestext wird sie in einem Atemzug mit Wirkstoffen genannt, die zu einer Abhängigkeit führen können und deswegen nicht beworben werden dürfen.

Quelle: Unsplash

Reproduktive Rechte – eine (sehr) kurze Geschichte

Reproduktive Rechte sind Menschenrechte. Grundlegend dafür war die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994. Zu diesen Rechten gehört auch die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft oder Geburt. 4 Frauen sollen in die Lage versetzt werden, eine unabhängige Entscheidung treffen zu können. Tatsächlich ist die Realität für viele Frauen, auch in Deutschland, eine andere.

Der Wunsch nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist nicht neu. Bereits in der Antike mussten sich Frauen damit auseinandersetzen, wie man eine ungeplante Schwangerschaft verhindern kann. Die Methoden waren unsicher und teilweise schmerzhaft und wurden trotzdem benutzt. Das zeigt, welche wichtige Rolle der Zugang zu Verhütung schon immer gehabt hat. 5,6 Es war ein langer Weg, bis einfache und sichere Verhütungsmittel auch in Deutschland für einen Großteil der Frauen verfügbar waren – für viele Frauen weltweit sind sie es leider bis heute nicht.

Notfallkontrazeptiva, also eine Möglichkeit zur Empfängnisverhütung nach einer Verhütungspanne, gibt es in Deutschland seit den 1960ern. Dank jahrzehntelanger Forschung wurden Notfallverhütungsmittel auch immer sicherer, sodass sie heute rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sind. Für die reproduktive Freiheit von Frauen ist dies ein unglaublich wichtiger Fortschritt. Doch auf Grund des Werbeverbots ist es nur eine Freiheit unter Vorbehalt. So viel Freiheit, wie Frauen eben zugetraut wird.

5

Dr. Sukalo, M., Die Geschichte der Verhütung, Fernarzt. Verfügbar unter: https://www.fernarzt.com/arzneimittel/verhuetungsmittel/geschichte/ (abgerufen am 23.02.2023)

6

Little, B., Schwämme, Därme und Zitronen: Verhütungsmittel damals und heute, National Geographic. Verfügbar unter: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/08/schwaemme-daerme-und-zitronen-verhuetungsmittel-damals-und-heute (abgerufen am 23.02.2023)

Die Folgen des Werbeverbots

Welche Auswirkungen hat es für Frauen und die Gesellschaft?

Es ist unheimlich wichtig, dass Frauen über Verfügbarkeit und Wirkweise der Pille danach bescheid wissen, um im Notfall schnell handeln und eine ungeplante Schwangerschaft verhindern zu können. Denn: Die Pille danach wirkt nur, wenn der Eisprung noch nicht stattgefunden hat. Eine ungeplante Schwangerschaft bedeutet für die Frauen oft starke körperliche und psychische Belastungen. In Deutschland werden jährlich über 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. 7

Das Werbeverbot für Notfallkontrazeptiva verhindert, dass alle Frauen, unabhängig von Alter, Bildung, sozialem Status und Herkunft, gleichermaßen auf die Pille danach aufmerksam gemacht werden können. Dabei ist umfassende Aufklärung über Notfallverhütung wichtiger denn je. Umfragen zeigen: nur 29 % der Befragten kennen die Pille danach als Methode zur Verhinderung einer ungeplanten Schwangerschaft. Gleichzeitig finden 41 % der Befragten auch, dass in Deutschland eher schlecht oder sehr schlecht über das Thema Verhinderung einer ungeplanten Schwangerschaft aufgeklärt wird. 8

7

Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland bis 2021, verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/232/umfrage/anzahl-der-schwangerschaftsabbrueche-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 20.03.2023)

8

12 Nielsen Media Germany GmbH im Auftrag von HRA Pharma Deutschland GmbH. Pille Danach: Repräsentative Befragung von 2002 Frauen im Alter von 16 bis 39 Jahren in Deutschland. 2022.

Gelangt hier zu weiteren Ergebnissen der repräsentativen Umfrage.

Die eingeschränkte Kommunikation trägt gleichzeitig zu einem Fehlwissen und einem fehlenden Bewusstsein über die Wirkungsweise der Pille danach bei. 9

9

Cheng, L., Che, Y. & Gülmezoglu, A. M. Interventions for emergency contraception. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2012, 8:CD001324. DOI: 10.1002/14651858.CD001324.pub4.

Mythen über die Pille danach

Was nicht im Biologie-Unterricht erwähnt wurde

Mythos 1 – Die Pille danach ist eine Abtreibung

Die Pille danach ist keine Abtreibung, denn sie verschiebt lediglich den Eisprung, sodass es gar nicht erst zu einer Befruchtung der Eizelle durch Spermien und somit auch zu keiner Schwangerschaft kommt. Hat der Eisprung bereits stattgefunden, wirkt die Pille danach nicht mehr. Liegt eine Schwangerschaft vor, führt die Pille danach nicht zum Abbruch.

Mythos 2 – Die Pille danach ist eine „Hormonbombe“

Schon lange ist die Pille danach keine „Hormonbombe“ mehr. Da sie in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt wurde, ist sie nicht mehr mit den Präparaten vergleichbar, die früher einmal auf dem Markt waren und für den Ruf als „Hormonbombe“ verantwortlich sind. Aufgrund der guten Verträglichkeit ist die Pille danach ohne ärztliche Untersuchung vor der Einnahme und ohne Rezept erhältlich.

Hierfür muss das Werbeverbot für Notfallkontrazeptiva (§ 10 Abs. 2 HWG) abgeschafft werden.

Die Rezeptfreiheit war ein wichtiger Schritt in Richtung Entstigmatisierung der Pille danach, der jedoch nicht zu Ende gegangen wurde. Sie bleibt nach wie vor ein Tabuthema. Diese Tabuisierung führt auch dazu, dass Frauen sich häufig nicht trauen, über Verhütungspannen zu sprechen. Im schlimmsten Fall kann dies auch dazu führen, dass sie sich im Notfall davor scheuen, in die Apotheke zu gehen. 10

Das muss sich ändern. Frauen müssen Entscheidungen über ihre reproduktive Gesundheit treffen können, ohne dabei von der Gesellschaft verurteilt zu werden. Nur mit Aufklärung und frei zugänglichen Informationen können wir erreichen, dass alle Frauen im Notfall über die Pille danach bescheid wissen und sie rechtzeitig einnehmen können, um eine ungeplante Schwangerschaft zu verhindern. Denn #nurwennichesweiss kann ich eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung treffen.

Hierfür muss das Werbeverbot für Notfallkontrazeptiva (§ 10 Abs. 2 HWG) abgeschafft werden.

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